Die Schweiz gilt mit ihrer gelebten direkten Demokratie als äusserst demokratisch. Das Volk oder zumindest die Stimmberechtigten können starken und direkten Einfluss nehmen auf die Regierung. Mittels Referendum (dem Wortstamm nach wird somit die Entscheidung an das Volk zurück gegeben) können Entscheide der Regierung legitimiert oder halt auch in Frage gestellt oder gar gekippt werden. Auch die Volksabstimmung gibt es, dabei werden Anliegen des Volkes direkt als Auftrag an die Regierung gegeben. Die Unterscheidung woher die „Anfrage“ kommt gibt es in dieser ausgeprägten Form praktisch nur in der Schweiz.
Alles perfekt – könnte man denken. Leider hat diese Form auch den einen oder anderen Nachteil. Der wahrscheinlich grösste Nachteil dürfte die „Performance“ einer solchen Regierung sein. Das dauert halt dann alles ein bisschen länger und wenn das Referendum ergriffen wird nochmals etwas länger. Auch wenn es nicht ergriffen wird, muss die Regierung dem Souverän (dem Volk) 100 Tage Zeit geben das zu machen. Somit vergehen halt immer ein paar Tage bis etwas wirksam werden kann.
Das ist alles aber tatsächlich sehr demokratisch und wird auch so gelebt. Ich habe mal ein wenig nachgedacht, worum es bei Demokratie eigentlich geht. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder gehört, dass es sehr demokratisch ist, wenn die 49.3 Prozent der Unterlegenen einer Abstimmung einfach nichts mehr sagen, gehorchen und genau das umsetzen, was die anderen 50.7% wollten. Per Definition ist das allerdings so nicht ganz richtig. Eine Demokratie sollte auch Minderheiten schützen. Es soll Minderheiten eine Stimme geben damit diese politisch nicht unter gehen.
Mit jedem Prozentpunkt um den eine grosse Partei also stärker wird, entfernen wir uns von der Demokratie. Wenn mehr Leute dasselbe wollen und diese Macht ausüben, je weniger demokratisch ist das System. Nehmen wir mal die Beispiele in der Schweiz. Die grösste Partei ist die SVP. Sie kommuniziert immer mal wieder, dass Abstimmungsresultate von der Regierung exakt nach dem Text umgesetzt werden müssen (zumindest wenn sie die Sieger waren…). Nach demokratischer Theorie ist das aber genau verkehrt. Die Regierung ist verpflichtet, trotz Resultaten der „Sieger“ die Interessen der „Verlierer“ zu vertreten und zu beachten. Der Sinn der Demokratie ist das finden eines für alle tauglichen Kompromisses und nicht die „Diktatur“ durch Abstimmungen.
Es ist also komplett falsch und undemokratisch wenn Parteien (ob links oder rechts, total egal) fordern dass die auf Ihrer Parteilinie liegenden Resultate von Abstimmungen eins zu eins Gültigkeit haben sollen. Es ist VOR Abstimmungen natürlich richtig und wichtig, dass man sich zankt und die Positionen der Parteien oder der Menschen ganz klar und deutlich hervor gehoben werden. Dass dabei die Wahrheit nicht immer allzu wichtig ist zieht sich durch alle Parteien durch und ist nicht relevant. Sobald die Abstimmung aber vorbei ist geht es nicht mehr darum, den Entscheid digital umzusetzen sondern die Regierung wird beauftragt, in diesem Sinne einen Kompromiss zu finden. Natürlich soll das Resultat der Abstimmung in aller erster Priorität behandelt werden und andere Meinungen sollen nur auf Kompatibilität geprüft werden. Manchmal müssen aber Kompromisse gemacht werden im Sinne des „Volkes“.
Fazit: Wenn man vom Volk spricht redet man nicht von Mehrheiten sondern von „allen“. Ich persönlich würde sagen, die die nicht an Abstimmungen teilnehmen gehören dann irgendwie nicht mehr dazu. Alle die die aber abgestimmt haben und ihre Meinung kund getan haben gehören betrachtet. Die Prioritäten eins bis fünf gilt der Lösung die an der Abstimmung gewonnen hat – danach muss geschaut werden, dass die Minderheiten nicht zu stark benachteiligt werden. Wenn eine Partei fordert, dass ein Resultat das mit 50.x % angenommen wurde eins zu eins umgesetzt werden muss ist das undemokratisch, eine Art der Diktatur der Masse – darauf sollte sich die Schweiz nicht einlassen, die echten demokratischen Werte müssen ihre Gültigkeit behalten.